Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Ihr könnt nicht Gott und dem Geld dienen. Predigt zur Beginn der Passionszeit am 21. Februar 2010


Interview mit Martin Luther

Frage:

Lieber Herr Luther, heute bestimmen Großbanken und riesige Konzerne die Weltwirtschaft. Zu ihrer Zeit fing der weltweite Handel gerade erst an. Es entstanden große Handelsgesellschaften. Diese Gesellschaften – dazu gehörten u. a. die Fugger – revolutionierten die Wirtschaft, verbanden Handel mit Textilien und Gewürzen mit dem Einsatz ihres Geldes im Bergbau und finanzierten Projekte der Fürsten. Wenn man so will, waren diese Gesellschaften Vorläufer unserer Banken und Großkonzerne. Sie haben damals sich sehr kritisch zu den neuen Handelsgesellschaften geäußert.

Luther:

Von den Handelsgesellschaften sollte ich wohl viel sagen. Aber es ist alles so grund- und bodenlos mit lauter Habsucht und Unrecht, dass nichts daran zu finden ist, was man mit gutem Gewissen dabei handeln könnte. Denn wer ist so verblendet, dass er nicht sieht, wie die Handelsgesellschaften nichts anderes sind als lauter richtige Monopole. (KW 311)

Frage:

Von Monopolen sprechen wir heute auch noch. Aber mich überrascht, dass Sie diesen Begriff auch bereits verwendet haben. Was macht die Monopolisten aus? Wie würden Sie diese beschreiben?

Luther:

Sie haben alle Ware unter ihren Händen und machens damit, wie sie wollen, sie treiben ohne alle Scheu die oben angeführten Stücke, dass sie den Preis nach ihrem Belieben steigern oder heruntersetzen und alle kleinen Kaufleute bedrücken und zugrunderichten. (KW 311)

Frage:

Wie kann ihrer Meinung nach ein Christ in einer solchen Organisation arbeiten?

Luther:

Darum braucht niemand zu fragen, wie er mit gutem Gewissen in den Handelsgesellschaften sein könne. Es gibt keinen anderen Rat als: Laß ab davon. Da wird nichts anderes draus. (KW 313)

Frage

Das ist ein hartes Urteil. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, sich als Christ an Handel und Wirtschaft zu beteiligen.

Luther:

Wie soll das je göttlich und recht zugehen, wenn ein Mann in so kurzer Zeit so reich wird, dass er Könige und Kaiser auskaufen könnte? – Könige und Fürsten sollten hier dazusehen und nach strengem Recht das verhindern. Aber ich höre, sie sind bewusst daran beteiligt. Sie lassen die Diebe hängen, die einen oder einen halben Gulden gestohlen haben, und machen Geschäfte mit denen, die alle Welt berauben. (KW 312)

Frage:

Das sind harte Worte... Haben Sie vielleicht doch noch ein paar konkrete Ratschläge für Christen, die als Kaufleute oder Handwerker arbeiten?

Luther:

Es sollte nicht so heißen: ich kann meine Ware so teuer hergeben als ich mag oder will, sondern so: ich kann meine Ware so teuer hergeben, als ich soll, oder als recht und billig ist. Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das deiner Macht und Willkür ohne alles Gesetz und Maß freisteht, als wärest du ein Gott, der an niemand gebunden wäre. Sondern weil dieses dein Verkaufen ein Werk ist, das du deinem Nächsten gegenüber tust, so soll es durch Gesetz und Gewissen eingeschränkt sein, dass du es ohne Schaden und Nachteil für deinen Nächsten tust. Du sollst viel mehr darauf acht haben, dass du ihm keinen Schaden tust, als darauf, dass du einen Gewinn machst. Ja, wo sind solche Kaufleute? (KW 294f.)

Frage:

Das ist eine harsche Kritik. Ich habe aber noch eine ganz andere Frage. Im Judentum, im Christentum, ja auch im Islam ist es umstritten, ob man Zins nehmen darf. Was sagen Sie zum Kauf auf Zins?

Luther:

Der Zinskauf taugt doch ganz und gar nichts, denn Gottes Gebot steht im Weg und will, dass den Bedürftigen geholfen werde mit Leihen und Geben. Wenn nun das geschieht ohne Übertretung des geistlichen Gesetzes, dass man aufs Hundert vier, fünf, sechs Gulden gibt, lässt sich´s ertragen. Je weniger aufs Hundert, desto gottgefälliger und christlicher ist der Kauf. Es ist aber meines Amtes nicht, anzuzeigen, wo man fünf, vier oder sechs aufs Hundert geben soll. Ich lass es bleiben bei dem Urteil der Richter, dass man sechs nehmen darf. Nun findet man aber etliche, die zu viel nehmen, sieben, acht, neun, zehn aufs Hundert. Da sollten die Machthaber einschreiten. Hier wird das arme gemeine Volk heimlich ausgesogen und schwer unterdrückt. (Sermon 15)

Frage:

Glauben Sie, dass Sie mit ihren Worten Gehör finden?

Luther:

Zwar denke ich abermals, dies mein Reden werde völlig umsonst sein, weil das Unheil schon so weit eingerissen ist und in jeder Hinsicht in allen Landen überhand genommen hat. (KW 293)

Literaturangaben:

KW – Von Kaufhandlung und Wucher, WA

Sermon - Ein Sermon von dem Wucher (1519); zitiert nach: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hrsg. Von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Vierter Band, Insel Verlag 1982

(Texte an einigen Stellen leicht geglättet oder Satzteile ausgelassen, ohne dass dies hier kenntlich gemacht wurde.)

Liebe Gemeinde,

vor zehn Jahren habe ich das fiktive Interview mit Martin Luther für einen Gottesdienst am Reformationstag zum Thema: Schulden und Schuldner geschrieben und vorgetragen. Die Fragen kamen von mir, die Antworten stammen original von Martin Luther.

Jetzt, zehn Jahre später, fiel mir dieser Text wieder in die Hände und ich dachte, das passt nach wie vor, und vielleicht hören wir auch genauer hin. Jetzt, nach der Finanzkrise und allem, was damit zusammenhängt. Da hören wir von der Skepsis Luthers, dass die Machthaber das richtige tun. Da hören wir von der Aufforderung, dass die Machthaber für die Bedürftigen sorgen sollen. Da hören wir die Ablehnung des Zinskaufes, von der Übervorteilung der Kleinbetriebe, von der Ungerechtigkeit, dass die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden. Offenbar hat sich seit den Zeiten Luthers nichts geändert, kommt uns alles recht bekannt vor...

Anlass, deprimiert zu sein? Der Mensch ist halt gierig, das wird sich nie ändern? Das Wirtschaftssystem beutet halt aus, da kann ich kleiner Mensch eh nichts machen...?

Klar, beides stimmt. Dennoch sind wir als Christen aufgefordert, aus der Sicht des Glaubens Stellung zu beziehen. In die Bibel zu schauen und zu lesen, was da steht.

Dazu hören wir nun, was Jesus in der Bergpredigt über Geld, Schätze und Glaube gesagt hat: [Mt 6,19-24]

Niemand kann zwei Herren dienen, so Jesu Kernsatz. Er ist nicht gegen Geld an sich, sondern gegen das Schätze sammeln. »Schätze« haben Menschen schon immer fasziniert. Piraten sind ihnen hinterher gejagt; Abenteurer haben unglaubliche Strapazen auf sich genommen, in der Hoffnung, den einen großen Schatz zu heben. Am eindrücklichsten für mich wird die Faszination, die Gier, das Ganz und gar auf einen Schatz-fixiert-sein dargestellt in der Figur des Smeagols im Film »Herr der Ringe«. Diese erbärmliche Kreatur ist über viele Jahre besessen von dem Wunsch, den Ring zu besitzen. Ihr ursprüngliches Wesen ist verschwunden, wie ein schleichendes Gift hat sich der Ring seines Herzens bemächtigt; um ihn zu besitzen ist er bereit, alles zu tun, zu lügen, zu betrügen und zu verraten, ja zu morden...

Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Geld, oder wie man früher sagte, Gott und dem Mammon. Geld ist dabei in Jesu Augen nicht an sich schlecht, es ist ein Stück Metall, mit dem ich kaufen oder tauschen kann, was ich zum Leben brauche. Aber wo es zum Schatz wird und all mein Denken und Handeln bestimmt, da schreitet Jesus ein. Was bestimmt den Menschen, die Gier nach immer mehr, die Angst, die Sorge, mit anderen Worte: die Sünde – oder das Vertrauen? Vertrauen, dass genug für alle da ist, denn »Genug, das ist das Beste was es gibt«, so ein schönes Wort von Andre Gorz, dem inzwischen verstorbenen französischen Sozialphilosophen. Alles darüber hinaus ist Schätze sammeln. Und da erinnert Jesus an die Tatsache, dass Schätze auch Diebe anlocken oder Motten das Gehortete fressen. Wer denkt bei Letzterem nicht an die ungeheuren Geldvernichtung in der sogenannten Finanzkrise, in der für uns Normalbürger unglaubliche Geldmengen - »Schätze«! - einfach verbrannten....

Jesus spricht in der Bergpredigt in einer bildreichen Sprache, formuliert pointiert wie ein Dichter. Martin Luther ist da viel nüchterner. Ich glaube, wenn wir über Geld nachdenken wollen – und was bleibt uns in der Gegenwart mit ihren Herausforderungen anderes übrig, dann ist es gut, beides zusammen zu hören. Drei Dinge fordert Luther aus Sicht des Glaubens: man soll an die Kleineren nicht übervorteilen, er mahnt einen vernünftigen Umgang mit Geld an und erinnert die Machthaber an ihre Aufgabe, für Ordnung zu sorgen.

Die Kleinen werden gehängt, die Großen laufen gelassen. Der Großkaufmann ruiniert den kleinen Händler durch einen Preiskampf, den er sich leisten kann, der andere aber nicht. Sagt schon Martin Luther. Da hat sich wenig geändert. Da entbrennt heute eine heftige Debatte, ob man die Daten von Steuersündern kaufen darf, auf der anderen Seite verklagen Finanzbehörden schon mal wegen 200 € Steuerhinterziehung. Gerechtigkeit sieht anders aus. Martin Luther hört man den Zorn in seiner Stimme an, wenn er dies beklagt. Und Margot Käßmann, die EKD-Ratsvorsitzende oder Nikolaus Schneider, unser rheinischer Präses, reden in unserer Zeit hier auch laut und deutlich. Werden sie gehört? Schwer zu sagen, unmittelbare Reaktionen sind ja auch kaum zu erwarten. Immerhin, Nikolaus Schneider wurde letztens eingeladen, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zu reden. »Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern!« - so heißt es einem bekannten Lied. Reden, mahnen, diskutieren, einmischen gehört auch dazu. Jeder Mensch hat ein recht darauf, menschenwürdig leben zu können. Übervorteilung, Ausbeutung, Leben unter der Armutsgrenze gehören dazu nicht. Darauf hinweisen, das können wir alle, auch wenn wir nicht an den Schalthebeln der Macht und der Wirtschaft sitzen.

Luther fordert angemessene Preise für die Güter. Dass sich Händler und Produzenten für ihre Arbeit bezahlen lassen, dagegen hat er nichts. Jeder soll leben können. Aber er wendet sich dagegen, dass Geschäfte mit Geld oder der Knappheit von Gütern gemacht werden. Geld ist Mittel zum Zweck, dass ein gemeinsames Lebens funktioniert, nicht mehr, nicht weniger. Er hätte daher wenig Verständnis dafür gehabt, dass die Banken in der Finanzkrise keine Kredite mehr an den Mittelstand gegeben haben und damit Betriebe an den Rand des Ruins oder auch darüber hinaus getrieben haben. Oder anderes Beispiel: er hätte sich vermutlich fürchterlich aufgeregt, dass die Preise für Streusalz in den letzten Wochen explodiert sind. »Ja, wieso versuchen die Salzhändler denn jetzt mit der Not der Leute Geschäfte zu machen?! Ist das Salz auf einmal wirklich mehr wert, nur weil es in einer Notlage stärker als sonst gebraucht wird?« Luther hätte sich, so denke ich, sehr kritisch zu einem Wirtschaftssystem geäußert, wo Preise zumindest für die Güter, die unsere Grundbedürfnisse decken, auf einem freien Markt von einem manchmal skurrillen, zufälligen Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, wie jetzt an dem Beispiel des Streusalzes deutlich wurde. Geld dient dazu, innerhalb einer Gesellschaft den Austausch von Gütern zu erleichtern, damit alle gut leben können. Alle Geschäftemacherei, überteuerte Preise, Zinswucher, all das hätte Luther abgewehrt, und es liegt ja auch in der Logik Jesu, keine Schätze zu sammeln, sondern sich vom Vertrauen auf den liebenden Gott bestimmen zu lassen und so sich für den Nächsten einzusetzen. Wohlgemerkt, Luther wie Jesus waren keine Asketen, sie haben nicht den Verzicht gepredigt, feierten beide gerne. Aber einer Welt, in der die Bankgebäude Kirchtürme, Synagogen und Moscheen weit überragen, hätten sie vermutlich sehr skeptisch betrachtet.

Martin Luther erinnert die Machthaber, Könige und Fürsten an ihre Aufgabe, für Ordnung zu sorgen, und das heißt, der Ausbeutung, der Übervorteilung, der Gier nach immer mehr Geldschätzen einen Riegel vorzuschieben. Nun haben wir heute keine Könige und Fürsten mehr, sondern Politikerinnen und Politiker, aber an der grundlegenden Aufgabe ändert das nichts. Die westlichen Staaten haben in den letzten zwanzig Jahren eher darauf gesetzt, staatliche Regelungen abzuschaffen, weil sie glaubten, der freie Markt bringt den Wohlstand dann schon von ganz alleine. Momentan hat da Ernüchterung eingesetzt und das Pendel scheint wieder umzuschlagen, der Staat und die Staatengemeinschaft suchen nach Lösungen, das ungehemmte Geldschätzesammeln ein zu dämmen und das vorhandene Geld wieder seinem eigentlichem Zwecke zu kommen zu lassen, nämlich vernünftige Lebensbedingungen zu schaffen. Und wo es brennt, das sehen wir von Woche zur Woche mehr. Unsere Stadt ist so pleite, das kann man sich kaum vorstellen. Wir werden es erleben, was da an Folgen dran hängt. Wenn z.B. nach diesem harten Winter beschädigte Straßen und Radwege nicht mehr anständig repariert werden – weil einfach kein Geld mehr dafür da ist. Allerdings ist es auch nicht damit getan, einfach nur die politisch Verantwortlichen unter Druck zu setzen, das auch, aber auch wir sind gefordert. Die Verantwortlichen unserer Stadt Voerde haben angekündigt, über die drastischen Sparmaßnahmen mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen zu wollen. Nehmen wir sie dabei doch beim Wort!

Liebe Gemeinde,

ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld. Was dieser Satz bedeutet für uns als einzelne, als Familien, als Kirchengemeinde, als Kommunen, Gesellschaft, als Staat, aber auch für das Leben von so unglaublich Menschen auf unserem Planeten, muss immer wieder neu durchbuchstabiert werden. Jede und jeder von uns kann sich daran beteiligen. Jesus fordert uns dazu auf – zu unserem eigenen Besten und zu dem meines Nächsten.

Amen.