Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Schulden, Schuldige, Verschuldete -
Reformationsgottesdienst am 31. Oktober 2000

 

Texte aus dem Gottesdienst, den wir zusammen mit dem Fachaussschuss für den KDA im Kirchenkreis Dinslaken und der Schuldnerberatung vorbereitet haben.
Die Fallbeispiele kamen von der Schuldnerberatung, das Interview stellten Jürgen Widera und ich zusammen, die Ansprache stammt von mir.

Allgemeine Situation von Verschuldeten in Voerde

Bundesweit gibt es 2,5 Millionen überschuldete Haushalte

Stand September 2000:

- 93 überschuldete Haushalten aus Voerde sind beim Diakonischen Werk in der normalen Schuldnerberatung.

- 42 Haushalte nehmen die Insolvenz-Beratung, den private Konkurs, der eine Restschuldbefreiung nach 5 bzw. 7 Jahren vorsieht, in Anspruch.

- Die gesamte Verschuldungshöhe bei der Schuldnerberatung beträgt DM ca. 3.900.000.- (ca. 50 % bei Verbraucherbanken). Das ergibt einen Durchschnittswert von DM ca. 42.000,-- pro Haushalt; viele beziehen Arbeitslosengeld oder -hilfe oder Sozialhilfe.

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Acht Fallbeispiele

(Selbstverständlich sind die Fälle und Namen "erfunden", sie stellen typische Beispiele dar!)

Harald D.:Arbeitseinkommen ca. 3.500,- netto, verheiratet, ein Kind 6 Man. alt, benötigt ein größeres Auto, das er mit 25.000,- durch eine Autobank finanziert. Es kommt zu einem selbstverschuldeten Autounfall. Strafe, Prozeßkosten, neues Auto usw. Verschuldung 45.000,- monatliche Rate 800,-, sonstige Wohnungs-, KFZ- und Versicherungskosten sowie sonstige Fixkosten 2.250,- Es bleiben für die Lebenshaltungskosten für 3 Personen 450,- übrig.

Doris R.: alleinlebend, Verdienst netto: 1.700,- Finanziert sich eine Wohnungseinrichtung von 10.000,- bei einer Rate von 200,- Sie hat eine Vorliebe für Versandgeschäfte. Rate 150,-- monatlich; wird krank verliert Anstellung. Arbeitslosengeld: 1.000,- Feste monatliche Ausgaben ohne Ratenzahlung 800,- Für Lebenshaltungskosten verbleiben 200,-

Herbert und Claudia heiraten, beide verdienen zusammen netto 5.000,-, leben gut, lieben Urlaubsreisen, edle Lokale, teure Garderobe, usw. Ihr Dispo wächst auf 8.000,- an. Umfinanzierung ist kein Problem, Kredit 15.000,- der Lebensstil wird beibehalten, es kommt eine Autoreparatur von 3.000,-, der Dispo wächst, Umfinanzierung, Krediterhöhung auf 25.000,- usw. Nach 5 Jahren beträgt die Kredithöhe 90.000,- Ratenzahlung 1.900,-.

Bernd, 19 Jahre in der Ausbildung, liebt sein Handy, jetzige Schuldenhöhe 5.000,-.

Nicole, alleinerziehende Mutter Sozialhilfeempfängerin möchte ihrem Kind Wünsche erfüllen, Versandgeschäfte: Verschuldung 12.000,-

Barbara Sch., hat 3 Kinder, wird von Ihrem Mann verlassen, er ist unauffindbar. Bei dem Kreditvertrag in Höhe von DM 40.000,-- hat sie mit unterschrieben.

Stefan F. macht sich im handwerklichen Bereich selbständig. Kredit zum Geschäftsaufbau 180.000,-, muß noch 2 Jahren das Geschäft aufgeben. Er haftet für ca. 230.000,--DM.

Heike und Thomas kaufen sich eine Eigentumswohnung für 240.000,-; Finanzierung von 200.000,-; monatliche Hypothekentilgung plus Zinsen 2.150,-. Bei einem gemeinschaftlichen Einkommen von DM 4.700,- möglich. Thomas hat noch 3 Jahren einen Unfall ist arbeitsunfähig, die Wohnung wird versteigert, Restschulden in Höhe von 90.000,-.

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Interview mit Martin Luther

Frage:
Lieber Herr Luther, heute bestimmen Großbanken und riesige Konzerne die Weltwirtschaft. Zu ihrer Zeit fing der weltweite Handel gerade erst an. Es entstanden große Handelsgesellschaften. Diese Gesellschaften – dazu gehörten u. a. die Fugger – revolutionierten die Wirtschaft, verbanden Handel mit Textilien und Gewürzen mit dem Einsatz ihres Geldes im Bergbau und finanzierten Projekte der Fürsten. Wenn man so will, waren diese Gesellschaften Vorläufer unserer Banken und Großkonzerne. Sie haben damals sich sehr kritisch zu den neuen Handelsgesellschaften geäußert.

Luther:
Von den Handelsgesellschaften sollte ich wohl viel sagen. Aber es ist alles so grund- und bodenlos mit lauter Habsucht und Unrecht, dass nichts daran zu finden ist, was man mit gutem Gewissen dabei handeln könnte. Denn wer ist so verblendet, dass er nicht sieht, wie die Handelsgesellschaften nichts anderes sind als lauter richtige Monopole. (KW 311)

Frage:
Von Monopolen sprechen wir heute auch noch. Aber mich überrascht, dass Sie diesen Begriff auch bereits verwendet haben. Was macht die Monopolisten aus? Wie würden Sie diese beschreiben?

Luther:
Sie haben alle Ware unter ihren Händen und machens damit, wie sie wollen, sie treiben ohne alle Scheu die oben angeführten Stücke, dass sie den Preis nach ihrem Belieben steigern oder heruntersetzen und alle kleinen Kaufleute bedrücken und zugrunderichten. (KW 311)

Frage:
Wie kann ihrer Meinung nach ein Christ in einer solchen Organisation arbeiten?

Luther:
Darum braucht niemand zu fragen, wie er mit gutem Gewissen in den Handelsgesellschaften sein könne. Es gibt keinen anderen Rat als: Laß ab davon. Da wird nichts anderes draus. (KW 313)

Frage
Das ist ein hartes Urteil. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, sich als Christ an Handel und Wirtschaft zu beteiligen.

Luther:
Wie soll das je göttlich und recht zugehen, wenn ein Mann in so kurzer Zeit so reich wird, dass er Könige und Kaiser auskaufen könnte? – Könige und Fürsten sollten hier dazusehen und nach strengem Recht das verhindern. Aber ich höre, sie sind bewusst daran beteiligt. Sie lassen die Diebe hängen, die einen oder einen halben Gulden gestohlen haben, und machen Geschäfte mit denen, die alle Welt berauben. (KW 312)

Frage:
Das sind harte Worte... Haben Sie vielleicht doch noch ein paar konkrete Ratschläge für Christen, die als Kaufleute oder Handwerker arbeiten?

Luther:
Es sollte nicht so heißen: ich kann meine Ware so teuer hergeben als ich mag oder will, sondern so: ich kann meine Ware so teuer hergeben, als ich soll, oder als recht und billig ist. Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das deiner Macht und Willkür ohne alles Gesetz und Maß freisteht, als wärest du ein Gott, der an niemand gebunden wäre. Sondern weil dieses dein Verkaufen ein Werk ist, das du deinem Nächsten gegenüber tust, so soll es durch Gesetz und Gewissen eingeschränkt sein, dass du es ohne Schaden und Nachteil für deinen Nächsten tust. Du sollst viel mehr darauf acht haben, dass du ihm keinen Schaden tust, als darauf, dass du einen Gewinn machst. Ja, wo sind solche Kaufleute? (KW 294f.)

Frage:
Das ist eine harsche Kritik. Ich habe aber noch eine ganz andere Frage. Im Judentum, im Christentum, ja auch im Islam ist es umstritten, ob man Zins nehmen darf. Was sagen Sie zum Kauf auf Zins?

Luther:
Der Zinskauf taugt doch ganz und gar nichts, denn Gottes Gebot steht im Weg und will, dass den Bedürftigen geholfen werde mit Leihen und Geben. Wenn nun das geschieht ohne Übertretung des geistlichen Gesetzes, dass man aufs Hundert vier, fünf, sechs Gulden gibt, lässt sich´s ertragen. Je weniger aufs Hundert, desto gottgefälliger und christlicher ist der Kauf. Es ist aber meines Amtes nicht, anzuzeigen, wo man fünf, vier oder sechs aufs Hundert geben soll. Ich lass es bleiben bei dem Urteil der Richter, dass man sechs nehmen darf. Nun findet man aber etliche, die zu viel nehmen, sieben, acht, neun, zehn aufs Hundert. Da sollten die Machthaber einschreiten. Hier wird das arme gemeine Volk heimlich ausgesogen und schwer unterdrückt. (Sermon 15)

Frage:
Glauben Sie, dass Sie mit ihren Worten Gehör finden?

Luther:
Zwar denke ich abermals, dies mein Reden werde völlig umsonst sein, weil das Unheil schon so weit eingerissen ist und in jeder Hinsicht in allen Landen überhand genommen hat. (KW 293)

Literaturangaben:

KW – Von Kaufhandlung und Wucher, WA

Sermon - Ein Sermon von dem Wucher (1519); zitiert nach: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hrsg. Von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Vierter Band, Insel Verlag 1982

(Texte an einigen Stellen leicht geglättet oder Satzteile ausgelassen, ohne dass dies hier kenntlich gemacht wurde.)

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Ansprache zu 1. Timotheus 6,7-10

"Die Frömmigkeit aber ist ein großer Gewinn für den, der sich genügen läßt. Denn wir haben nichts in die Welt hineingebracht, darum werden wir auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, sollen wir uns daran genügen lassen. Denn die, die reichwerden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis. Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels."

Liebe Gemeinde,

die Aussagen Martin Luthers reizen uns zum Schmunzeln, sie scheinen aus einer fernen, aus heutiger Sicht romantisch erscheinenden Welt zu stammen.
4, 5, 6 Prozent Zins, aber nicht mehr.
Besser ist es für den Christen, gar nicht bei einer Handelsgenossenschaft zu arbeiten.

Auf der anderen Seite sind da Aussagen, die aus heutiger Zeit stammen können:
Banken, die so reich sind wie Könige, also Staaten. Monopole, die beherrschen.
Mit den großen Schuldnern macht man Geschäfte, die kleinen lässt man hängen.

Gerade hier sind wir nah dran.
Bedenken wir, wie schnell Existenzen gefährdet sind durch Verschuldung. Wir haben einige Fälle eben gehört.
Und erinnern wir uns daran, dass Großgläubiger wie damals Herr Schneider Milliarden Schulden erlassen bekommen können, dass für die Pleite von Hoch-Tief oder so der Staat Riesensummen übernimmt...

Natürlich würde ein heutiger Banker sagen: Ach, der Luther. Das passt doch alles nicht mehr, das ist doch uralt und kein bißchen aktuell. Und wenn Kirche sich heute einmischt, dann heißt es schnell: Welt ist Welt und die Kirche mag beim Glauben bleiben. Die Welt hat ihre eigenen Gesetze und die Pastöre mögen dabei bleiben, Sonntags zu predigen. Aber bitte nicht gegen die Banken! Ich erinnere mich daran, genauso argumentierte vor zwanzig Jahren Helmut Schmidt, als es um die Nachrüstungsdebatte ging. Der Kirche wurde das Recht abgesprochen, sich zu politischen Vorgängen zu äußern, hier zählen nur die Eigengesetzlichkeiten der Welt...

Das sieht die Kirche anders. Mit dem Anspruch Gottes auf die ganze Welt, die ganze Schöpfung geht einher die Aufgabe, sich einzumischen, wo das Leben behindert oder gar zerstört wird. Diesen Anspruch hat Luther in seiner Zeit wahr genommen und ich finde, seine Aussagen sind teils erschreckend aktuell. Schon damals, am Anfang des Kapitalismus treten die Gefahren, die uns auch heute noch bewegen, offen zu Tage. Von daher ist es gut, uns von Luther daran erinnern zu lassen, aber auch auf unsere Gesellschaft zu schauen, den Anspruch Gottes auf die ganze Welt laut werden zu lassen, zugunsten derer, die benachteiligt werden.

In Deutschland wird dieser Anspruch vom Staat geschützt, ja sogar eingefordert. So schrieb das Landgericht Duisburg in seinem ersten Richterspruch im Verfahren Citi-Bank gegen den KDA-Pfarrer Hans-Peter Lauer im Dezember 1999: "Der Staat bringt im Grundgesetz zum Ausdruck, dass die Kirche den im Grundgesetz angelegten Kultur- und Sozialauftrag miterfüllt. (...) Es ist daher nicht nur das Recht der Kirche, sondern ihre vom Verfassungsgeber im öffentlichen Interesse begründete Pflicht, zu negativen sozialen Entwicklungen Stellung zu beziehen."

Und da gibt es zwei Möglichkeiten: zum einen unsere Stimme erheben, aufklären, Partei ergreifen. Zum Beispiel so:

Wo Menschen durch Schulden in eine lebenslange "Haft" genommen werden, ist dies problematisch.

Wo Menschen sich leichtfertig verschulden, ist dies ihre Verantwortung.

Wo Menschen aber dazu verleitet werden, sich leichtfertig zu verschulden, haben Banken eine Mitschuld.

Wo Werbung Menschen vorgaukelt, sie müssten alles mögliche besitzen, wird ein Zerrbild des Lebens gezeichnet.

Wo den Großen Riesensummen erlassen werden und den Kleinen ihr Eigenheim versteigert wird, ist dies sozial nicht gerecht.

Die Reihe wäre fortzusetzen.

Das andere ist aber, dass wir als Kirche etwas tun. Reden allein reicht nicht.

In unserem Kirchenkreis ist das zum Beispiel so, dass wir maßgeblich an der Schuldnerberatung beteiligt sind, auch mit unserem Geld, mit ihren Kirchensteuermitteln. Und dies ist dort im Sinne des Evangeliums gut angelegt. Denn die Kirche sagt damit: hier werden Lebensmöglichkeiten in eklatanter Weise verletzt, hier müssen wir nicht nur durch Worte, auch durch Taten Gottes An und Zuspruch laut werden lassen.

Amen.