Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Wüstenspeise.

Predigt über Exodus 16 (Juli 2013)


Von Elim zogen sie aus, die Israeliten. Es war noch nicht lange her, dass sie aus Ägypten fort waren und am Schilfmeer vor den Verfolgern gerettet worden waren. Sechs Wochen lag das zurück und so lange waren sie nun schon hier in Elim. 12 Wasserquellen gab es, 70 Palmen und viel Schatten. Hier ließ es sich gut leben und ausruhen. Von den Strapazen, und von der Angst. Und weil es hier so schön war, dachten sie: es wird nun überall so sein, denn Gott ist ja bei uns und er hat versprochen, uns in ein Land zu führen, in dem Milch und Honig fließt. So zogen sie wieder los, singend und tanzend, den Kopf voller Träume.

Doch schon bald murrte das Volk. Die Wüste war ein Schock. Ägypten, das war ein Kulturland gewesen, fruchtbar und feucht. Hier die Wüste Sinai dagegen, die war staubtrocken. Steine, nichts als Steine.

Wer aus einem Kulturland in die Wüste kommt, weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Er weiß nichts von den verborgenen Quellen und den versteckten Lebensmitteln. Dass Israel hier murrt, ist erst mal kein Zeichen von Unglauben, sondern ganz einfach menschlich. Es ist eine Erfahrung, die Menschen immer wieder machen, die aus etwas Altem aufbrechen und auf etwas Neues zugehen. Sie finden sich erst einmal nicht zurecht.

Da gibt es viele Beispiele: Einer geht von der Schule ab und fängt an in einem Betrieb zu arbeiten. Oder man wechselt die Arbeit und damit die Stadt, in der man wohnt. Oder die Kinder sind eines Tages aus dem Haus und das Leben sieht plötzlich ganz anders aus. Und so weiter und so fort.

Vielleicht ist der Kopf voller Träume und voller Hoffnung. Doch dann beginnen die Schwierigkeiten und es beginnt eine Durststrecke. Ich merke: Du hast dich festgefahren und es geht nicht mehr weiter. Der Überblick fehlt und auch das Ziel ist mir irgendwo abhanden gekommen. Plötzlich ist da eine Leere im Leben.

Unweigerlich gehen dann die Gedanken zurück in die Vergangenheit: War das früher wirklich alles so schlimm? Damals, als ich unter der Last der Kinder stöhnte? Als mir in der Schule Tag für Tag die Decke auf den Kopf fiel? Als ich in der anderen Stadt weniger verdiente – aber viele Freunde hatte?

Jetzt ist alles wie Treibsand. Hundertmal kommt der Wunsch auf: Wäre ich doch niemals fortgegangen aus Ägypten. Da hatte ich es immer noch besser als hier – auch wenn ich mich tausendmal eingesperrt fühlte. Hier in der Wüste, da ist es heiß und unwirtlich, sie ist tödlich und gefährlich, endlos und unerträglich. Und so oft will ich aufgeben, ja sogar sterben scheint oft besser als hier weiterleben zu müssen.

Und Israel murrt zu Mose und zu Gott: Warum sind wir fortgegangen aus Ägypten? Was soll das alles? Was hat dies hier für einen Sinn – von dort weggehen, um hier in Freiheit zu sterben? Nichts zu essen, nichts zu trinken?

Gott hört das Murren, den Protest der Israeliten. Und er antwortet einfach und lapidar: Ich habe euer Murren gehört. Von nun an werdet ihr abends Wachteln und morgens Brot bekommen.

Ein Wunder?

Nein.

Die Wissenschaft belehrt uns darüber, das Wachteln und Manna Wüstenspeise ist, Nahrung, die in solch einer Gegend zu finden ist. Wachteln zum Beispiel. Ägypten, der Sinai und Israel liegen auf der Vogelfluglinie zwischen Nord und Süd. Forscher haben die studiert. die Vögel fliegen sehr lange Strecken und sind daher oft sehr erschöpft. Steht der Wind dann noch günstig, kann man die Vögel mit der Hand fangen.

Oder Brot, Manna. Das ist etwas feines und körniges auf dem Boden. »Man hu« fragen die Israeliten, »was ist das?« Ein Wüstenbewohner kennt es. Es ist ein honigartiger Zucker, der von bestimmten Bäumen fällt und der aus den Ausscheidungen von Schildläusen besteht, die vom Saft dieser Bäume leben.

Also: kein Wunder wie im Schlaraffenland geschieht hier, das Manna fällt nicht vom Himmel.

Aber ein Wunder geschieht doch: Gott öffnet in der Wüste die Augen für das, was da ist. Und die Israeliten erkennen nun: Gott hat auch hier für uns Grundlagen zum Leben, zum Überleben geschaffen. Er rettet uns, indem er uns etwas Natürliches und Naheliegendes zeigt. Er öffnet die Augen für das, was hier und jetzt möglich ist. Und befreit so die Menschen in der Wüste davon, ständig nur die Vergangenheit vor Augen zu haben, nur noch zu murren und zu protestieren, und so keine Augen für das Naheliegende zu haben.

So kann es auch uns gehen. Da, wo wir auf der Stelle treten. Da, wo wir etwas Neues angefangen haben und nun unterwegs sind. In einer neuen Stadt, im Rentner-Dasein, in der neuen Arbeitsstelle, der veränderten Familiensituation. Irgendwann ist die Hoffnung nur noch verschwommen, alles ist grau in grau, die Tage ziehen sich wie Gummi.

Dann kann es dazu kommen, dass auch wir anfangen zu klagen und zu murren – auch Gott gegenüber. Dann kann es dazu kommen, dass wir protestieren – ganz laut oder nur verschämt und leise. Jedenfalls wird mir dann deutlich, wie es in mir aussieht, wie verdorrt das eigene Leben hier zwischen Ägypten und dem neuen versprochenen, erhofften, erträumten Land ist.

Und auch das kann geschehen:

Ich sehe, es geht weiter. Plötzlich bekomme ich einen Blick für das »Manna« im eigenen Leben. Ich sehe auf einmal Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe. Und ich beginne, täglich die Brocken einzusammeln, die mich am Leben halten: flüchtige, hingeworfene Worte, kurze Augenblicke eines Anfluges von Glück, ein kleiner Erfolg, ein Spaziergang zu zweit. All das wird zu Manna-Stückchen, zu Speisungen Gottes.

Vielleicht ist das der Kern solcher Wüstenerfahrungen: nachdem ich mich angestrengt habe wie blöd, um alles zu schaffen – jetzt geht es nicht mehr. Und doch geht es weiter, aber nicht wie vorher. Ich lerne die Geschenke des Alltags zu sehen und zu sammeln – und in der Wüste sind dies Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, die ich vorher übersehen habe. Das ist hart und anstrengend, aber es ist eine lohnende Erfahrung: Ich lebe letztlich nicht aus eigener Kraft, auch wenn es oft so aussieht, sondern nur durch Gottes Gnade. Er ist die Quelle des Lebens. Und wenn wir durch die Wüste hindurch sind, dann tut es uns gut, diese Erfahrung lebendig zu halten. Denn in den Zeiten, in denen wir »im Land, wo Milch und Honig fließen« leben, neigen wir dazu, auf unsere Kraft zu vertrauen und zu übersehen, wer uns leben lässt, am Leben lässt. Niemand von uns lebt nur einen Atemzug, ohne dass Gott es will.

Liebe Gemeinde,

Gott erspart die Wüste nicht. Israel nicht und uns auch nicht. Aber Gott hilft dabei. Nicht, indem er Durchhalteparolen ausgibt und das Ziel in leuchtenden Farben beschreibt. Sondern durch Wachteln und Manna, kleine Gaben, die am Leben halten.

Amen.