Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Ehe, Liebe, Hochzeit

4. November 2007

 

Liebe Gemeinde,

im September diesen Jahres nahm sich der französische Philosoph Andre Gorz zusammen mit seiner Frau das Leben. Aus Liebe. Beide weit über 80, konnten sie den Gedanken nicht ertragen, dass eines Tages einer am Grab des anderen stehen müsste. Einige Zeit vorher hat Andre Gorz ein kleines Büchlein mit dem Titel: "Briefe an D." veröffentlicht. Dort klingt die Möglichkeit eines gemeinsamen Suizides bereits an. Der letzte Satz dieses Buches lautet: "Oft haben wir uns gesagt, dass wir, sollten wie wundersamerweise ein zweites Leben haben, es zusammen verbringen möchten". Ein schöner Satz, nach fast 60 Jahren Ehe. Bemerkenswert auch deswegen, weil der junge, sehr links orientierte Gorz 1947 eigentlich gar nicht heiraten wollte, da er als Sozialist der Ehe ablehnend gegenüberstand. Sie aber habe Andre Gorz die Pistole auf die Brust gesetzt: entweder heiraten oder die Trennung. So war es entschieden, hieß es in einem Nachruf.

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Überraschend vielleicht auch, welches Echo das kleine Büchlein und der gemeinsame Freitod des Ehepaares Gorz gefunden haben. Denn wenn öffentlich über Ehe gesprochen wird, dann doch meist im Zusammenhang mit steigenden Scheidungszahlen oder beim Streit um Sinn oder Unsinn von steuerlichen Vorteilen von Eheleuten.

Ich habe in diesem Jahr eine ganze Reihe von Gottesdiensten anlässlich von Hochzeiten gestalten dürfen. Die Paare waren dabei allesamt sehr anregend. Ich habe sehr viel über Ehe, Liebe und Hochzeit nachgedacht, sicher auch durch die eigene Silberhochzeit im August ausgelöst. Ehe, Liebe, Hochzeit: was können wir sagen als evangelische Christinnen und Christen?

 

Ehe.

Zunächst zur Ehe. Die evangelische Position hat Martin Luther knapp und klar formuliert: die Ehe ist eine weltliche Angelegenheit. Punkt. Doch was heißt das? Schaut man sich in der Geschichte der Ehe durch die verschiedenen Kulturen um, schaut man auch in die Bibel, ins Alte und Neue Testament, dann stellt man fest: Es gab immer so etwas wie "Ehe". Das konnte aber sehr, sehr unterschiedlich aussehen. Gemeinsam ist der öffentlichen Form einer Beziehung, dass es vor allem um Schutzrechte ging. Die Beziehung sollte geschützt werden, die Familie sollte geschützt werden, der Hof, die Stammbaumlinien sollten geschützt werden usw. In allen Kulturen gab es aber auch die Möglichkeit von Scheidungen. Mit Liebe hatte eher keineswegs immer zu tun, oft standen handfeste finanzielle und wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund.

Martin Luther war schon der Meinung, dass die Ehe etwas wichtiges und richtiges ist. Er heiratete ja auch selber. Aber er blieb dabei, die Ehe ist eine weltliche Angelegenheit, der Staat muss und soll sie regeln, die Kirche kann aus dem Evangelium her da keine Vorgaben machen.

Nehmen wir dies ernst, dann dürfen wir eigentlich bei Hochzeiten anlässlich einer Eheschließung nicht von Trauung sprechen. Das hat sich zwar so eingebürgert, aber "trauen" tun sich die beiden auf dem Standesamt, dort werden sie "getraut". (Nach katholischem Verständnis ist dies anders: das entscheidende geschieht in der Kirche, dort "trauen" sich die beiden und spenden einander das Sakrament der Ehe. Martin Luther hat diese Sicht abgelehnt, weil er die Sakramente biblisch begründet sehen wollte, und da fand er nur Taufe und Abendmahl). 

Wenn wir als evangelische Kirche über die Bedeutung der Ehe nachdenken wollen, macht es daher wenig Sinn, bei der staatlichen Institution der Ehe zu beginnen. Wir müssen anders ansetzen: bei der Liebe.

 

Liebe.

Liebe, welch großes Wort. Dennoch kommen wir an diesem Wort nicht vorbei. Liebe führt uns zueinander, aus Liebe entschließen wir zu heiraten, aus Liebe wollen wir unser Leben lang gemeinsam verbringen. Früher wurde weniger aus Liebe geheiratet, da gab es handfeste Gründe, das ist heute in unserer westlichen, und das heißt immer noch christlich geprägten Kultur undenkbar. Auch wenn viele Menschen mit der christlichen Religion nichts mehr viel anfangen können, ihre Grundwerte prägen dennoch unsere Gesellschaft. Und da ist die Liebe der Grund, warum geheiratet wird. Das Heiraten  steht aber nicht an erster Stelle. Sondern die Beziehung, die Liebesbeziehung. Es ist uns weitgehend selbstverständlich geworden, dass zwei junge (oder auch ältere) Menschen erst einmal eine längere Beziehung haben, vielleicht schon länger zusammen wohnen oder gar Kinder haben, bevor sie heiraten. Wenn sie denn heiraten. Das diese Form des unverheiratet Zusammenlebens ziemlich selbstverständlich ist,  gibt es noch gar nicht so lange! In meinem Examen im Jahr 1989 musste ich eine Bewertung eines Textes der EKD zum Thema: Nichteheliche Lebensgemeinschaften verfassen. Vor 25 Jahren fing das gerade so an, dass junge Menschen zusammen wohnten (und auch eine Wohnung bekamen), ohne verheiratet zu sein. Das bedeutet aber doch, dass die Form unserer Beziehungen veränderbar ist. Und auch der Staat reagiert auf diese Veränderungen immer wieder. "Ehe" ist nicht etwas unveränderbares.

Zurück zur Liebe. Im Sommer war ja die unselige oder vielleicht unglücklich agierende Landrätin Pauli von der CSU in aller Munde, vor allem mit ihrem skurilen Vorschlag, Ehen nur noch auf sieben Jahre hin zu schließen. Sie erntete Kopfschütteln. Zu Recht. Aber: Ihre Begründung war ja nicht so ganz von der Hand zu weisen: Wenn immer mehr Ehen geschieden werden und das Kosten, Mühe und Stress verursacht, sollte man dann nicht an der Institution Ehe grundlegendes verändern? Wenn Liebe also eine eher flüchtige Angelegenheit wird, ist es dann nicht besser, ehrlich mit der Situation umzugehen? Ich habe in den verschiedenen Trauansprachen in diesem Sommer da verschiedentlich etwas zu gesagt. 

1. Es gibt Menschen, die sich nicht mehr trauen, ein Leben lang zusammen bleiben zu wollen. Aus sehr unterschiedlichen Gründen. Vielleicht sind sie aus negativer Erfahrung vorsichtig geworden. Vielleicht haben Sie Angst vor dem Gedanken, sich aus ewig an einen Menschen zu binden. Lebensabschnittpartnerschaft ja, aber nicht mehr. Das Wort Lebensabschnittspartner hat einen negativen Klang. Aber müssten wir nicht sagen:  wenn Menschen solche Beziehungen aus Liebe heraus und in Liebe gestalten, dann ist das völlig in Ordnung. Liebe ist doch der Maßstab, aus dem wir als Christinnen und Christen unsere Beziehungen gestalten, auch die auf Zeit. Und zwei Menschen, die - warum auch immer - unverheiratet zusammen leben und denen man abspürt, dass sie sich lieben, ja, sind die nicht ein Zeugnis für eine aus christlichen Werten gespeisten Beziehung? Mehr  vielleicht als ein verheiratetes Ehepaar, dass aus reiner Gewöhnung oder auch nur aus Angst vor Einsamkeit zusammen bleibt, aber sich nichts mehr zu sagen hat. Und vielleicht feiert dieses Paar sogar aus reiner Konvention die Goldene Hochzeit, der Pfarrer sagt ein paar schöne Worte dazu, aber eigentlich langweilt man sich nebeneinander zu Tode...

2. Aber. Die christliche Ehe ist schon noch sehr viel wert. Christliche Ehe meint jetzt hier konkret: eine Beziehung auf Dauer, möglichst ein Leben lang gemeinsam das Leben in eine liebevoll gestalteten Beziehung zu teilen. Das ist aus meiner Sicht der Kern der christlich verstandenen Liebesbeziehung, die zumeist in der äußeren Form der Ehe am besten aufgehoben ist. Doch was ist das Besondere daran, was macht den Kern aus?

Eine Antwort darauf habe ich für mich in den verschiedenen Traugesprächen diesen Jahres gefunden, verbunden mit der Tatsache, dass ich über Ehe, Liebe und Hochzeit in diesem Sommer auch ganz persönlich anlässlich unserer Silberhochzeit nachgedacht habe. Die Antwort lautet: wenn sich zwei Menschen auf diesen dauerhaften, lebenslangen Weg einlassen, dann entwickelt sich zwischen ihnen etwas ganz Besonderes. Der Geist ihrer Beziehung. Etwas, das nur ihnen beiden gehört. Etwas, das die Außenstehenden vielleicht spüren oder erahnen können, aber niemals in der Tiefe nachvollziehen können. Es ist eine Form der Liebe, die sich erst mit der Zeit entwickelt. Und zwar nur dann, wenn sie letztendlich durch nichts bedroht ist als nur durch den Tod am Ende des Lebens. Es ist ein Geschenk, ein Geheimnis, dass dann durch den christlichen Glauben, nämlich ein Leben lang von DER Liebe umfangen und gehalten zu sein noch einmal vertieft wird. Es ist jedenfalls etwas ganz Besonderes, sehr persönliches. Und, ohne jetzt besondere Kenntnisse in katholischer Theologie zu haben, ich könnte mir vorstellen, dass diese Erkenntnis der Hintergrund der Tatsache ist, dass die katholische Kirche die Ehe als ein Sakrament versteht, dass die beiden, Mann und Frau sich einander schenken. Liebe ist der Kern der Beziehung zwischen Mann und Frau, aber in einer auf Dauer angelegten Beziehung kann sich etwas ganz persönliches entwickeln. Wenn die beiden lebendig bleiben. Sonst verkümmern sie selbst und damit auch ihre Beziehung.

 

Hochzeit.

Ich komme zur Hochzeit. Nach einen Artikel in der ZEIT heiraten eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen vor allem deshalb, weil sie einmal so ein richtig großes Fest erleben wollen, bei dem sie im Mittelpunkt stehen. Auch dann muss schon gesagt werden, dass diese beiden Menschen sich lieben oder sich zumindest verliebt haben. Aber wenn es um das Fest geht, die Planung eines Events, das Erlebens mit weißem Kleid, viel Tamtam, Brautjungfern und Ringen und Fotografen und möglichst noch Tauben, die sich vor der Kirche in die Lüfte erheben - ja, was ist dann am Morgen danach?! Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus: erst das Verlieben, dann die Liebe, dann die Entscheidung füreinander und dann schon die Hochzeit als öffentliches sichtbares Fest, in welchem die Liebe gefeiert wird. Feste und Feiern sind wichtig, verbinden Menschen untereinander, strukturieren die Lebenszeit. Und dazu gehört natürlich auch die Kirche, die Predigt, die Fragen, der Ringwechsel, der Segen Gottes.

Eines folgt allerdings aus dem, was ich bisher gesagt habe.

Wenn die Liebe das entscheidende Band zweier Menschen ist. Wenn die Entscheidung, das Leben gemeinsam verbringen zu wollen, die Grundlage einer Beziehung ist, welches das Geheimnis der Liebe wie eben geschildert erleben lässt - braucht es dann eigentlich zwingend den staatlichen Trauschein?!

Die Antwort darauf lautet aus evangelischer Sicht ganz eindeutig: Nein.

Der Trauschein hilft. Er bietet einen gewissen Schutzraum und auch vielfältige finanzielle Vorteile. 

Aber: es gibt viele Menschen, die gerade auch aus finanziellen Gründen heraus auf den staatlichen Trauschein verzichten. Weil z.B. Rentenansprüche dahin wären. Wenn solche Paare zu mir kommen würden und darum bitten, dass sie den Segen Gottes für ihre Beziehung erbitten, dann können wir ihnen  das nicht verwehren. Und auch eine Hochzeitsfeier könnte stattfinden, warum  nicht. Und, liebe Gemeinde, das ist nicht zu  weit her geholt, ich kenne solche Paare. Umgekehrt kenne ich auch Paare, die sich für den staatlichen Trauschein entschieden haben und auf die Rentenansprüche verzichtet haben. Aber noch einmal, das ist alles nicht entscheidend. Entscheidend ist die Liebe. Und nichts anderes.

Mit Andre Gorz und seiner Frau habe ich begonnen, mit ihnen möchte ich schließen. In einem Interview antwortet die alte Dame auf die Frage, wie denn die Liebe dauerhaft sein könne, man müsse das vitale Verlangen verspüren, dass die Liebe andauern möge. Man solle von Anfang an sehen, dass es Schwierigkeiten, Konflikte, Veränderungen geben werde und dass man zu einem Paar erst werde, indem man sich dazu mache. Ohne Eile. Natürlich fragten sie nun viele, wie Liebe denn halten könne, sagt Gorz, und das sei nicht trivial. Wenn alles zur Ware wird und alles technisch bestimmt,  dann sei ein Gefühl, das dauert, das Kostbarste. Es mache ja den Menschen erst aus.

Amen.