Matthias Jung


 

FeedWind

Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Der Hirte
Predigt am Totensonntag 2000
Predigtreihe Gottesbilder

 

Der Herr ist mein Hirte.
(Psalm 23,1)

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich. Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir.
(Johannes 10,11.27)

 

Liebe Gemeinde,

heute ist ein besonderer Sonntag. Am letzten Sonntag des Kirchenjahres gehen wir auf den Friedhof an die Gräber unserer Angehörigen. So ist es in der Tradition der evangelischen Bevölkerung. Und zu dieser Tradition gehört auch, dass wir jedes Jahr an diesem Sonntag hier in der Kirche derer gedenken, die wir im zu Ende gehenden Kirchenjahr beerdigt haben.

Und daher sind viele von Ihnen heute hier, weil sie in den letzten zwölf Monaten einen Menschen verloren haben und beerdigen mussten. Den Ehemann, die Ehefrau. Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter, Oma oder Opa, Enkel oder Enkelin, Bruder oder Schwester, Freund oder Freundin – oder wie immer Sie auch zu dem oder der Verstorbenen in Beziehung standen.

Bei einigen liegt diese traurige Erfahrung inzwischen schon etliche Zeit zurück, die Wunden schmerzen nicht mehr so wie am Anfang. Bei anderen ist der Tag des Abschiedes noch nicht lange her und sie tragen noch schwer an der Trauer. Wir werden ihre Namen nachher hören, die älteste war 96 Jahre alt, der jüngste 46.

Wir haben in den letzten Wochen bereits zwei Predigten zu wichtigen Gottesbildern gehört. 

In der ersten ging es um Gott, den Vater, dem wir unser Leben verdanken, der uns eine Antwort auf die Frage gibt, wo kommen wir her? 

In der zweiten Predigt ging es um Gott, den Richter, der uns eine Antwort gibt auf die Frage: wo gehen wir einmal hin? Und wir hörten, dass wir nach unserem Leben ihm gegenübertreten werden, er uns aber gütig verstehend in seine Arme schließen wird. Das ist auch die Hoffnung, die wir im Blick auf die Verstorbenen hegen können: Gott nimmt uns am Ende bei sich auf, wie immer das aussehen mag.

Es bleibt die Frage: Wer begleitet mich zwischen Geburt und Tod? Was können wir da über Gott sagen? 
Eine Frage, die ganz sicher auch vielen von Ihnen auf dem Herzen liegt angesichts der Tatsache, dass sich Ihr Leben in den letzten Monaten durch den Verlust eines nahen Menschen verändert hat. Wer ist da an meiner Seite? Hilfe, Trost und Beistand?

Die Bibel antwortet: Gott ist derjenige.
Und sie sagt: im Bild des Hirten wird dies anschaulich, Gott begleitet mich umsorgend durchs Leben wie ein Hirte seine Schafe begleitet und umsorgt.

Das Bild des Hirten ist ein sehr ursprüngliches Bild, dass sich an etlichen Stellen in der Bibel findet. Es ist ein Bild, welches auch heute noch Menschen ohne Schwierigkeiten nachvollziehen können, auch wenn die "echten" Hirten sehr selten geworden sind. Doch bereits im Kindergarten wird deutlich, dass schon die Kleinsten mit der Vorstellung einer Person, die sich um die Schafe kümmert,  durchaus etwas anfangen können. Das Bild des Hirten ist einfach, einprägsam, einleuchtend. Kein Wunder, dass es seit Jahrtausenden auch als Bild für Gott gewählt wurde. Gott der Hirte. Er begleitet mich durch das Leben, umsorgt mich und sorgt sich um mich, hat immer ein offenes Ohr, ist immer für mich da und nah.

Die Bibel malt dies noch stärker aus, spricht vom Schutz Gottes, von der Führung Gottes. Jesus greift schließlich das Bild auf, wendet es auf sich an und erinnert uns aber auch daran, dass Schafe keine willenlose Objekte sind, sondern schon auf den Hirten hören müssen, wenn sie unter seiner Obhut stehen wollen.

Doch da beginnen dann die Fragen: Wenn Gott doch unser Schutz ist, warum gibt es soviel Leid? Oder ist es vielleicht doch meine Schuld, dass ich so leiden muß, weil ich nicht genügend geglaubt habe? Schmerzliche Fragen, oft auch verzweifelte Fragen, gerade immer wieder ausgelöst durch Sterben und Tod.

Die Antwort ist nicht leicht verdaulich, sie beantwortet nicht alle Klagen. 

Gott hat die Welt nicht so eingerichtet, dass es sozialistisch gerecht zugeht und alle das gleiche bekommen. Er hat die Welt auch nicht so eingerichtet, dass jede und jeder das bekommen, was er oder sie "verdient" hat. Es gibt wunderbare Dinge und schreckliche, wer was bekommt, ist nicht vorherbestimmt. Das lässt Menschen zu Recht klagen oder danken je nachdem. Und bitten! 

Und in diesem Dreiklang klingt für mich der entscheidende Punkt an. Ich kann ja fragen: Was habe ich von einem Gott, dem Hirten, von dem es heißt, er umsorgt mich ist für mich da? Wo erlebe ich das denn, wenn die sehnlichsten Flehen nicht erhört werden , die dringlichsten Bitten nicht gewährt werden? 

Die Antwort: ich habe zumindest ein Gegenüber, eine Macht, die jenseits all dieser wunderschönen und erschreckenden Welt steht und ein Interesse an mir hat, ich bin nicht allein. Und ich kann ihm meinen Dank und meine Klagen und meine Bitten vortragen, er hört sie. 

Das ist viel, wenn auch viel weniger, als wir es uns oft wünschen. Denn im Gebet begegne ich dieser behütenden Macht, die mein Leben als Ganzes bewahrt, auch wenn es hier aus unserer Sicht schon oft so aussieht, als würde das Leben in tausend Stücke zerfallen oder ein Schicksalsschlag mein Leben nicht mehr als lebenswert erscheinen lässt. Gebet – das gipfelt am Ende in dem "Mich-einverstanden-erklären" mit dem, was ich erlebe oder was mir widerfährt. 

In dieser Woche habe ich bei einer Trauerfeier über ein Wort aus dem Buch Hiob gepredigt: "Haben wir nicht Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nun nicht auch annehmen?" 

Das gelingt nicht immer. 

Aber wo es gelingt, da kommt mein Leben zur Ruhe. 

Ich wünsche es Ihnen. Und mir. 

Immer wieder.

Amen.