Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Der Vater - Ursprüngliches Schaffen
Predigtreihe "Gottesbilder" im Herbst 2000

 

Bei dir ist die Quelle des Lebens.
(Psalm 36,10a)

Jesus sprach: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir, doch nicht, was ich will, sondern was du willst!
(Markus 14,36)

 

Liebe Gemeinde,

Gottesbilder gibt es wie Sand am Meer. Schon immer, in vielen Religionen und Kulturen haben die Menschen sich Vorstellungen von Gott gemacht, bildliche Vorstellungen.

Aus der Fülle der Bilder in der Bibel habe ich drei ausgewählt:

Vater, Hirte und Richter.

Diese antworten auf drei zentrale Fragen von Menschen:

Wo komme ich her?

Wer begleitet mich?

Wo gehe ich hin?

Das Bild des Vaters antwortet dabei auf die erste Frage: Wo komme ich her?
Der Glaube sagt:

Gott hat mich geschaffen, ich verdanke mich und mein Leben Gott.

Bevor ich dem Bild von Gott, dem Vater nachgehe, möchte ich zunächst einen Moment darüber nachdenken, wie das überhaupt zustande kommt, dass wir Menschen uns Bilder von Gott machen. Wie kommen sie zustande und wozu brauchen wir sie?

Ich persönlich glaube, dass der Anfang des Glaubens eines Menschen an Gott, des überzeugt seins von der Existenz Gottes, das Gefühl ist, dass "da noch jemand ist". "Etwas" oder "jemand", das oder der "größer" ist, "hinter", "über" oder "unter" allem steht. Dieses Gefühl hat mit Überwältigt-werden, Ergriffen-sein zu tun, oder auch mit Erschrocken-sein oder Erschüttert-werden zu tun. In der Bibel geht dies Mose (vor dem Dornbusch) so oder Jesaja (bei seiner Berufung) oder auch Paulus (vor Damaskus).   Dies ist eine ganz persönliche Erfahrung eines Menschen, die niemand erzwingen kann, sie geschieht einfach irgendwann – oder auch nicht. Es gibt Menschen, die sehr glaubhaft berichten, sie seien seit Jahren, sogar lebenslang auf der Suche nach dieser Erfahrung - und hätten sie nie gemacht.

Für diejenigen, die solch einen Moment einmal erlebt haben oder auch immer wieder erleben, stellt sich dann die Frage:

Wie kann, soll, muss ich diese Erfahrung deuten, einordnen, erklären, verstehen?
Was ist da mit mir geschehen, was ist da passiert?

"Gott sei Dank" geschehen solche Erfahrungen nicht im luftleeren Raum, sondern es gibt viele andere Menschen, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben und diese sind mir zugänglich. Beispielsweise in der Bibel (aber nicht nur da).

Und da können wir sehen, dass wir Menschen geradezu darum ringen, die Erfahrungen mit dieser Macht, die wir ganz allgemein "Gott" nennen in Worte zu fassen. Und das, was wir in Worten kaum sagen können, suchen wir dann mit Vergleichen, mit Bildern zu be-greifen. Die Bibel ist voll davon. Aber ich finde, dass sich drei "große" Bilder durchziehen – eben Vater, Hirte und Richter. Und dies mag damit zu tun haben, dass hier Antworten auf die Fragen: Woher komme ich? Wer ist mit mir unterwegs? Wohin gehe ich? formuliert werden.

[In Klammern gesagt: Daneben gibt es noch eine vierte Frage, die uns Menschen permanent bewegt: Was soll ich tun? Darauf antwortet das Neue Testament nicht mit einem Bild, sondern mit einem Vor-Bild: Jesus mit seinen Worten und Tasten.]

Gott, der Vater.

Der Schöpfer von Himmel und Erde.

So bekennen wir ihn Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis.

Und dies macht vielen Zeitgenossen große Mühe, die versuchen, sich vorzustellen, wie der Gedanke eines Schöpfers mit unseren Naturwissenschaften zusammenzubringen ist. Menschen fangen an, an Gott zu zweifeln, ja zu ver-zweifeln, weil sie beides nicht zusammenbringen können: einen Schöpfer am Anfang und die Erklärungen der Naturwissenschaften, die keinen Gott "brauchen", um die Entstehung von Welt und Leben zu erklären. An diesen Zweifeln hat die Kirche eine kräftige Mitschuld, hat sie doch jahrhundertelang im Zuge der Erkenntnisse der Naturwissenschaft Gott auf die nicht erklärlichen Bereiche der Natur zurückgenommen – bis irgendwann nichts mehr nicht zu erklären war und der Schöpfungsglaube - in dieser Form - überflüssig wurde.

Das war - aus heutiger Sicht! - ein Denkfehler. Der Glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer ist keine Aussage über Physik, Chemie und Biologie der Welt und des Lebens. Der Glaube an Gott, den Schöpfer kann mit jeder Erkenntnis der Naturwissenschaft leben, auch wenn unser Nach-Denken da manchmal schon vor schwierigen Aufgaben steht.

Denn der Ansatz ist das Gefühl, mich und mein Leben einer anderen "Macht" zu verdanken. Es ist die Ahnung, dass es da "jemanden" gibt, der mich gewollt hat, sowie ein Vater (oder eine Mutter) mich einst gewollt hat. Und diese väterliche, ursprüngliche, schöpferische Macht möchte über den "Glauben" – mein Vertrauen   - eine Beziehung zu mir und mit mir.

Vater – das ist die zentrale und oft zärtlich klingende Anrede Jesu an Gott. Kaum einmal spricht er anders von Gott.

[Wobei ich wiederum in Klammern, sagen muß, dass negative Erfahrungen mit meinem Vater mir den Glauben Gott als Vater sehr erschweren und verdunkeln können! Und dafür gibt es viele beklemmende Beispiele.]

Von daher ist gut, dass unser Glaubensbekenntnis sagt:

"Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erden"

und nicht:

"Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erden".

Wenn Gott allmächtig genannt wird, dann ist das die Folge des Glaubens an Gott den Vater. Wie meine ich das?

Die Vorstellung vom "allmächtigen Gott" führt ganz oft zu Denk-Problemen. Was soll das denn konkret heißen? Dann kommen so Gedanken wie: Wenn er doch der allmächtige Vater ist, warum hat er dann nicht eine "bessere", "friedlichere" Welt geschaffen? Drehe ich dass aber um, dann wird "allmächtig" zu einem Ausspruch des Vertrauens, der Dankbarkeit diesem väterlichen Gott gegenüber, dem ich zutraue und vertraue, dass er mich und mein Leben in Händen hält.

Ich habe überlegt, wo es in unserer Sprache ähnliches gibt. Mir sind Musiker und Sportler eingefallen, die als "himmlisch" bezeichnet werden. Man sagt von ihnen, sie wären "die Größten" oder auch "göttlich". Ihre Spielweise bringt Menschen zum Schwärmen, zum Träumen, zum Staunen – und die Sprache ringt nach Worten. Und greift zu Bildern.

Genauso geht es Menschen mit Gott. Allmächtig – das ist Ausdruck, dass ich Gott zu-traue, immer an meiner Seite zu sein, immer für mich da zu sein.
So formuliert Jesus im Garten Gethsemane in der Nacht vor seinem Tod: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir, doch nicht, was ich will, sondern was du willst!

Ich habe das für mich vor Jahren verstanden in einer theologischen Vorlesung, als um diese Vorstellungen von Gott als dem Allmächtigen ging. In einer hitzigen, kontroversen Diskussion sagte unser Professor schließlich:

"Ich erinnere mich an eine fromme Frau. Wenn sie Wäsche aufhängte im Garten und die Sonne schien, dankte sie Gott dafür, dass er heute die Sonne für sie scheinen ließ und die Wäsche trocken wurde. Natürlich könnte man jetzt sagen, dass sei doch eine sehr kindliche Vorstellung, die Frau denkt nicht darüber nach, dass es anderswo regnet usw. Aber," so der Professor weiter, "dass wusste sie sehr wohl. Sie sagte: ich danke Gott dafür, dass für mich heute hier die Sonne scheint. Und genau das", sagte der Theologe, "ist der Ansatz des Glaubens an Gott als den Vater, den Schöpfer. Das beginnt nicht bei allgemeinen Überlegungen über den Zustand der Welt, nein, es fängt an damit, dass ich merke und begreife, wem ich mich und mein Leben verdanke."

Ich fand das damals - und auch heute noch - sehr einleuchtend. Genauso formulierte auch Martin Luther im Kleinen Katechismus in der Auslegung zum 1. Artikel:

"Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat samt allen Kreaturen..."

Ich glaube, dass Gott mich gewollt hat – und dann fange ich von da an, über die Welt nachzudenken. Und dann sage ich natürlich: wenn er mich gewollt hat, dann doch auch all die anderen und all das andere.

Liebe Gemeinde,
wenn wir von Gott, unserem Vater sprechen oder auch wenn wir zu ihm so reden im Vater Unser, dann meinen wir nicht einen abstrakten, fern im Himmel weilenden Schöpfer, der die Welt einst einrichtete und irgendwie ins Leben gerufen hat. Gott, Vater, ist ein Ausdruck unseres Vertrauens, welches einer ureigensten Erfahrung entspringt, eben nicht zufällig auf dieser Welt zu sein, sondern von einer ursprünglichen Macht gewollt zu sein, wie auch immer sich meine Existenz und die der naturwissenschaftlich erklären lässt.

Amen.

*

Anmerkung nur in der Internet-Fassung:

In der Vorbereitung schlug ich im etymologischen Wörterbuch nach, woher eigentlich im Deutschen das Wort "Gott" stammt. Ergebnis: das ist nicht sicher geklärt. Entweder kommt es von: "das angerufene Wesen" oder von: "das Wesen, dem geopfert wird". Interessant fand ich dabei , dass das Wort ursprünglich sächliches Geschlecht hatte, also weder männlich noch weiblich war.