Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Der Richter – Gütiges Verständnis
Predigtreihe "Gottesbilder" im Herbst 2000

 

Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit Wahrheit.  
(Psalm 96,13b)

Jesus hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bekennen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter über die Lebendigen und die Toten. 
(Apostelgeschichte 10,42)

 

Liebe Gemeinde,

Gott, der Richter. Er richtet über mein Leben, er richtet mich. Nach dem Ende meines Lebens kommt irgendwann das Jüngste Gericht, dann wird alles offenbar, alles kommt zur Entscheidung, dieses Gericht entscheidet dann über Himmel und Hölle. Eine Vorstellung, die jahrhundertelang Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat.

Wo gehe ich hin? 
Was kommt nach dem Tod? 
Wer beurteilt mein Leben? 
Wer kommt in den Himmel, wer in die Hölle? 

Fragen über Fragen. Das Bild der Waage, welches sich zwangsläufig zu meinem Nachteil absenkt, weil ich durch und durch Sünder bin, trieb nicht nur Martin Luther fast in den Wahnsinn. Die Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott – im Gericht! müsste man hinzusetzen – führte ihn als biblischen Theologen schließlich zur Erkenntnis: Die Gnade kommt aus dem Glauben, die Vergebung ist geschenkt, im Gericht rettet mich mein Vertrauen zum Gott Jesu Christi. Und doch waren die Fragen damit nicht zu Ende. Nun wurde gesagt: Glaube, ja gut und schön. Aber: welcher Moment zählt denn da? Muß ich einmal im Leben glauben? Oder überwiegend? 
Zur Zeit Luthers war dies so gelöst: der Glaube im Moment des Todes war ausschlaggebend. Starb ein Mensch friedlich und ohne Todeskampf, galt dies als Zeichen für seinen Glauben. Wundert es, dass die Freunde Martin Luthers mit bangem Blick um sein Sterbebett standen? Zum Glück für die Reformation schlief Luther sehr ruhig ein...

Liebe Gemeinde, von der Zeit Luthers sind wir weit entfernt. Und doch bewegt die Menschen bis heute dieser Gedanke. Frage ich Schüler oder Konfirmanden, was denn nach dem Tod kommt, so höre ich – neben anderen Antworten immer auch -: Himmel oder Hölle. Und wenn ich frage, wie das entschieden wird, kommt immer auch: Wer mehr gutes als böses getan hat... In andere Form begegnet mir diese Frage in der Klage: Womit habe ich – oder meine Angehörigen – das verdient? Ich hab´ doch nichts böses getan mich immer bemüht.... Und in vielen anderen Formen beschäftigt dies auch Menschen, die dem Glauben fern stehen. Wer sagt mir, ob mein Leben in Ordnung ist? Natürlich – heute ist die gängige Meinung, das entscheidet jeder und jede selber, es kommt auf mein Gefühl, meine Bewertung an. Aber geht denn das wirklich? Und: sind wir nicht alle stolz, wenn wir gelobt werden, wenn gesagt wird, das hast du gut getan? Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um die Frage der Orientierung für mein Handeln. Es geht nicht darum, Antworten auf die Frage zu finden: Was soll ich tun?, sondern es geht um eine nachträgliche Bewertung meines Lebens oder von Teilabschnitten meines Lebens, meines Tun und Lassens.

Ganz besonders stellt sich die Frage in den entscheidenden Momenten unseres Lebens, da wo Bilanz gezogen wird. Nicht nur im Krankenhaus oder auf dem Sterbebett. So fragt auch der Mann, der dreissig wird und die Frau, die vierzig. So fragt der Mann, der mit fünfzig seinen Arbeitsplatz verliert und sich fragt: was bin ich noch wert und die Frau, die ihre Kinder groß und aus dem Haus hat und sich plötzlich fragt, wozu sie noch gebraucht wird.

Gott der Richter. Er beurteilt mein Leben. Aber nach welchem Maßstab? Wann weiß ich denn, ob mein Leben vor Gottes richtenden Augen Bestand hat?

Eigentlich ist die Antwort doch ganz einfach: Inhalt des Gerichts kann nichts anderes als das Evangelium sein! Gott hat Jesus eingesetzt zum Richter über Lebendige und Tote, so bekennen wir es Woche für Woche im Glaubensbekenntnis. Gott hat sein Richteramt – wenn man so will – an Jesus delegiert. Und der spricht vom gütigen, freundlichen, an mir interessierten Gott. Er spricht nicht vom "lieben" Gott, aber vom "liebenden" Gott. Vom Gott, der diese Welt so eingerichtet hat, den Menschen mit seinen wunderbaren und furchtbaren Fähigkeiten, die Natur im Ganzen mit ihren atemberaubend schönen Dingen genauso wie den abgrundtief erschreckenden Vorkommnissen.

Doch wie passen nun Himmel und Hölle da hinein? Wozu braucht es so etwas? Ist die Welt nicht schon schrecklich genug, oftmals Hölle auf Erden? Gerade heute, am Volkstrauertag, denken wir in Deutschland darüber nach, wie Menschen in Kriegen anderen das Leben zur Hölle gemacht haben. Und nicht nur in Kriegen! Auch in unserem Land werden – um im Bereich des öffentlichen Lebens zu bleiben – Menschen verfolgt, gejagt, geschlagen, ja ermordet, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben, irgendwie nicht in das "Leitbild" des guten Deutschen passen... Also: was ist das für ein Gott, der solch eine Welt schafft und dann noch dazu den Menschen hinterher ein Gericht aufzwingt, in welchem sie nach ihrem Tun und Lassen beurteilt werden – und sei es auch nur Tun im Sinne von Gott-Vertrauen?! Da kommt dann schnell und zu Recht der Gedanke auf, hier ginge es um eine billige Jenseitsvertröstung. Nein, hier leben wir, um dieses Leben geht es. Was danach kommt, steht hier nicht zur Debatte.

Liebe Gemeinde, ich glaube, dass sich im Lauf der Kirchengeschichte sich der - sicher biblische! - Gedanke von Himmel und Hölle, ewigem Leben und ewiger Verdammnis gegenüber anderen - ebenfalls biblischen! – Vorstellungen durchgesetzt hat, die eher davon sprechen, dass am Ende Gott wieder alles zusammenführt, am Ende Gott in allem und alles in Gott sein wird. Theologisch heißt dies Allversöhnung. Gott versöhnt am Ende alles. Das mag im ersten Hören Widerspruch auslösen. Wozu glaube ich denn dann? Wozu erleide ich vielleicht als Christ Nachteile, strenge mich an, wenn die anderen das ewige Leben am Ende einfach so geschenkt bekommen? Zurück könnte ich fragen: sollte dieses Leben wirklich nur eine Art Bewährungsprobe für das danach kommende, "eigentliche", ewige Leben sein? 

Für mich persönlich lösten sich diese Fragen auf in einer Vorlesung bei meinem theologischen Lehrer Wilfried Härle in Marburg (das ist der, der auch in der letzten Predigt über den Vater schon vorkam, Sie sehen, von dem habe ich viel gelernt). 
Es ging um Vorstellungen des Gerichts. Ich weiß nicht mehr recht, ob er selbst das so formulierte oder sich diese Gedanken mehr in meinem Kopf sortierten. Jedenfalls verstehe ich Gericht seither nicht mehr als Abwägung meiner guten und bösen Taten (es wäre ja auch noch mal sehr ernsthaft zu fragen, ob das immer so einfach möglich ist, mein Handeln auf zwei Seiten einer Waage zu verteilen), sondern in erster Linie ist es ein Bild dafür, dass am Ende der Tage (noch so ein Bild!) mein Leben vor Gott offenbar wird.

Schonungslos in jeden Winkel sichtbar.
All meine Gedanken und Gefühle, die Abgründe und Widerwärtigkeiten.
Hass und Eifersucht genauso wie meine Freundlichkeiten, meine Liebe. 
Alles vor Gott ausgebreitet, die Knoten entwirrt, die Verstrickungen aufgerollt, die Winkel ausgeleuchtet, dem Licht seines prüfenden Blickes ausgesetzt. 

Es wird ein Moment ungeheurer Scham sein. 

Weil so viel nicht gut war und das, was so gut aussah, auch viel böse Motive enthielt und manches, was ich gut gedacht hatte, Schlimmes gebracht hat. Sichtbar wird werden was ich erleidet habe und anderen an Leid zugefügt habe. Aber auch: dass ich Menschen nicht nur schadete, auch wenn ich´s wollte, und das ich doch auch sehr vielen Menschen Gutes getan habe, auch wenn ich´s vielleicht nicht wahrhaben wollte. 

Und dann, so stelle ich es mir vor, wenn ich mein Leben dann so klar vor mir sehe und es mir wie Schuppen von den Augen fällt, wenn ich die Fragmente sehe, die Bruchstücke, die nie niemals zusammenpassen werden, und dieser Moment kaum noch auszuhalten ist, DANN

- wird Gott aufstehen und mich liebevoll in die Arme schließen und wird sagen: 

Ich verstehe dich. 

Und dann werde ich verstehen, weil er mich versteht. Ich werde ankommen bei mir, sehen, wie Gott mich sieht, als kleiner Mensch mit soviel Möglichkeiten und so viel Versagen. 
Verstehen, dass heißt nicht: alles gutheißen. Ganz und gar nicht. 
Verstehen, dass heißt auch nicht, alles kleine und schlecht machen. Ganz und gar nicht.
Aber es ist ein anderes Wort für Angenommensein.

Liebe Gemeinde, Gott der Richter. Gütiges Verständnis. Das ist der Inhalt seines Gerichtes. Richten heißt hier nicht aburteilen, sondern offen legen und verstehen, angenommen sein. Und das macht mir Mut, hier zu tun, was ich kann, zu lassen, was ich nicht kann, mir nicht zu viele Gedanken über Himmel und Hölle zu machen, sondern das Leben jetzt zu nehmen, wie es auf mich zu kommt. Oft schwer genug. Leichter mit dem Bild eines Gottes, der mich liebevoll verstehend begleitet.

Amen.

 

 

 

 

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