Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Beten.
Predigt am 14. Januar 2001

 

Betet ohne Unterlass. 
(1. Thessalonicher 5,17)

Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichen Seufzern. 
(Römer 8,26)

Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im verborgenen ist und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird´s dir vergelten. 
(Matthäus 6,6)

 

Liebe Gemeinde,

Sir Francis Galton war ein neugieriger Mann. Er suchte eine Antwort auf die Frage: Hilft beten? Eine Frage, auf die unsere Konfirmanden in dieser Woche sehr unterschiedlich antworteten. Die eine Hälfte sagte, ja, beten hilft, aber das genau in Worte zu fassen, das können wir nicht. Die anderen sagten, nein, denn wenn ich vor der Mathearbeit um eine Eins bete, kommt doch nur wieder die Fünf dabei heraus. Ganz ähnlich dachte Sir Francis Galton.

Wenn Beten hilft, dann müsste man das erforschen können. Er lebte im 19. Jahrhundert und fragte sich, für wen wird denn regelmäßig gebetet. Und das waren damals die Könige und Fürsten. Jeden Sonntag wurde um Gesundheit und ein langes Leben des Obrigkeit gebetet. Also, so Francis Galton, wenn beten hilft, dann müsste die Lebenserwartung von Königen doch weit über dem Durchschnitt der restlichen Bevölkerung liegen. Er untersuchte dies genau. Das Ergebnis war niederschmetternd: die Lebenserwartung der europäischen Fürstenhäuser lag weit unter dem Durchschnitt der Bevölkerung. Ähnliche Ergebnisse fand er für die Geistlichen. Er ging davon aus, dass die Gemeinden regelmäßig für ihre Pfarrer betet. Doch die Lebenserwartung war nicht höher als die der anderen - allerdings auch nicht so schlecht wie die der Könige! (nach Brümmer 7ff.)

Hilft beten also? Wahrscheinlich würden viele Menschen schon spontan ja sagen, aber dann auf die Frage, was den das Gebet konkret bewirkt, wie die Konfirmanden auch nur schwer eine Antwort sagen können.

Vielleicht fragen wir zunächst: was ist das denn eigentlich - beten? Dumme Frage, beten heißt mit Gott reden, dass würden mir schon die Grundschulkinder in ihrer offenen Art spontan antworten, aber spätestens bei der Nachfrage, wie mache ich das denn, gingen die Antworten weit auseinander. Sicher käme zunächst die Aussage, beim Beten falte ich die Hände und senke den Kopf und schließe die Augen, aber das ist ja nur die äußere Haltung und so betet auch nicht jeder. Wann ist etwas, das Menschen tun, ein Gebet?

Und da gehen die Auffassungen weit auseinander. 
Das beginnt der Meinung, dass schon die stumme Betrachtung eines wunderbaren Sonnenunterganges ein Gebet sein kann, weil ich mich dann dem Schöpfer nahe fühle. 
Das geht weiter mit dem vor Jahren umstrittenen Gedanken Dorothee Sölles, dass das morgendliche Zeitungslesen ein Gebet sein kann, weil ich mir einen Überblick über den "Gesamtzusammenhang" meines Lebens verschaffe. 
Andere erleben die tiefsten Gebetserfahrungen in der Meditation, in der sie versuchen, eben keine Worte zu machen, sondern ganz still und leer zu werden und dann zu warten, was geschieht. 
Und das endet irgendwo auf der anderen Seite bei Menschen, die der Meinung sind, dass das Gebet nur dann richtig sei, wenn das, worum ich bitte, auch eintritt und die sehr gezielt danach fragen, wie denn richtiges Beten eigentlich funktioniert. Und sie fragen weiter welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ihre Gebete erhört werden.

Das Gebet ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Die Art und Weise, wie ich bete, wann ich bete, gibt Auskunft über meinen Glauben und mein Verständnis von Gott und Welt. Von daher ist es für mich kein Zufall, dass die Idee zu dieser Predigtreihe im Herbst letzten Jahres entstand, als ich über die Gottesbilder gepredigt habe. So wie ich Gott erfahre, wie ich über ihn und damit über mich und mein Leben denke, so bete ich auch. Ich möchte daher heute versuchen zu Beginn dieser Predigtreihe zu sagen, was ich unter Gebet verstehe und Sie dadurch anregen, über Ihr Verständnis von Gebet nachzudenken.

Ich bin nach meiner Konfirmation in der Jugendarbeit meiner Heimatkirchengemeinde sehr aktiv gewesen. In dieser Zeit waren wir dort auf der Suche nach Antworten auf die Frage, was es heißt, bewusst und verbindlich als Christen zu leben. Dazu gehörte nach unserer Auffassung auch das regelmäßige Gebet, morgens und abends. Dazu gehörte die regelmäßige Gebetsgemeinschaft, so wie wir sie hier während der Allianzgebetswoche auch praktizieren. Dazu gehörte das Ringen um die Frage, wie viel und wann beten (ausgehend von dem Satz des Paulus: Betet ohne unterlass!), dazu gehörte die Frage nach dem richtigen Beten. Trotz aller auch guten Erfahrungen mit dem Gebet in dieser Zeit blieb bei mir ein Unbehagen zurück. Unter dem Strich fand ich diese Art des Betens – anstrengend. Und es fehlte etwas für mich. Wenn ich mich recht entsinne, war dieses Buch von Ulrich Schaffer dann eine Offenbarung. Es war mir, als würde ein Fenster aufgemacht und frische Luft kommt herein. Meine bisherige Gebetspraxis wurde nicht weggewischt, aber in einen weiteren Horizont gestellt. Es waren Sätze wie diese:

"Ich glaube, dass Beten ein innerer 'Zustand' ist, also ein Sein und nicht so sehr ein Tun. Es ist eine Art, die Welt, sich selbst und Gott zu sehen, eine Art des Umgang mit dem, was mir bewusst wird. Beten ist eine Haltung. Ich kann mich für Haltungen entscheiden, sie dann lernen und über ein Leben hin ständig vertiefen.“ (49) 

Beten ist mehr als Worte. 
Beten ist eine Haltung.
Beten ist eine Lebenseinstellung.

Das war und ist für mich eine grundlegende neue Erkenntnis. Beten heißt, mir über mich und mein Leben, über meine Erfahrungen Gedanken zu machen – in dem Horizont, dass da jenseits meiner sichtbaren Welt jemand ist, der mich in Händen hält, dem ich mein Leben verdanke, der mit mir unterwegs ist und mich am Ende aufnimmt. Beten ist eine Haltung, mehr als eine Handlung. Dieser Gedanke gefällt mir gut. Beten macht gottbewusster, sagt Schaffer weiter (50). Die Ereignisse, von denen ich erfahre oder die ich erfahre, die Menschen, die mir begegnen – zum Teil mit schönen oder auch schrecklichen Erlebnissen – lösen Gedanken, Fragen, Gefühle aus. Über diese denke ich nach, unter der Perspektive: es gibt den Gott Jesu, den wir Vater nennen dürfen. Beten ist ein ständiges Zwiegespräch, aber ohne Zwang und Anstrengung. Manchmal fließt dies in formulierte Worte Gott gegenüber, oft aber auch nicht. Beten geschieht, oder geschieht auch nicht. Die Zahl der Worte und Minuten ist unwichtig, Gebet ist ja keine Leistung, sondern Antwort auf Gottes Zusagen. Beten ist bewußtes Leben im Horizont der Liebe Gottes.

Beten ist eine sehr persönliche Sache. Es gehört ins "stille Kämmerlein", eignet sich nicht zur Selbstdarstellung. Da hat Jesus zu Recht darauf hingewiesen. Gebet vor anderen steht immer in der Gefahr, etwas für die anderen zu sagen und aus dem Zwiegespräch mit Gott auszuscheren.

Das Gebet gehört aber auch ins seelsorgerliche Gespräch zweier Menschen. Wenn einer für den anderen versucht auszudrücken, was dieser nicht in Worte fassen kann. Wo dann – wenn es gelingt – der Hörende die gehörten Worte zu seinen Worten macht, die er an Gott richtet.

Und natürlich gibt es auch das öffentliche Gebet. Das hat aber einen etwas anderen Charakter. Dann stehen wir gemeinsam vor Gott. Vergegenwärtigen uns, dass wir als Christinnen und Christen dem Gott Jesu Christi angehören und uns zu ihm bekennen und das wir aufeinander angewiesen sind. Seinen höchsten Ausdruck findet dies im gemeinsam gesprochenen Vater Unser in jedem Gottesdienst.

Hilft beten? Ja. Aber nicht im Sinne des wissenschaftlichen Experimentes. Das Gebet ist kein Automat. Oben 5 DM reinwerfen und unten kommt das gewünschte heraus. Beten heißt immer ein Wagnis eingehen, mich aufs Spiel setzen. Beten heißt, damit zu rechnen, dass etwas geschieht, ohne schon zu wissen, was geschehen wird. In diesem Sinne hilft beten. Es macht Gott-bewußter. Und damit Selbst-bewußter. Amen.

 

Literatur:
Vincent Brümmer, Was tun wir, wenn wir beten? (Marburg 1985)
Ulrich Schaffer, Beten über Worte hinaus (Stuttgart 1988)